Europa bekommt größeres Gewicht in der Deutschen Wirtschaftspolitik

Blick auf die Kapitalmärkte
05.09.2025
7 Minutes

Es war ein missglückter Start für Friedrich Merz, als er am Dienstag bei der Wahl zum Bundeskanzler zunächst nicht die erforderliche Mehrheit im Bundestag erhalten hatte. Doch noch am selben Tag brachte eine zweite Abstimmung ihn in das Amt, sodass sein Zeitplan nur um einige Stunden durcheinander geriet. Noch am Dienstagabend konnten sowohl Merz wie auch die 17 Ministerinnen und Minister der neuen Bundesregierung eine erste Kabinettssitzung abhalten.

Die Hektik am Kanzlerwahltag hat auch am deutschen Aktienmarkt Spuren hinterlassen – der Dax mutierte zu einem politischen Stimmungsbarometer (siehe Grafik). Direkt nach Merz‘ Wahlniederlage sackte der deutsche Leitindex auf ein Tagestief. Die Nachricht, dass der Weg für einen zweiten Wahlgang noch am Dienstag freigemacht werden solle, stabilisierte dann den Dax. Gleichwohl belastete die Unsicherheit, dass Merz auch bei seinem zweiten Versuch durchfallen könnte. Als gegen 16.15 Uhr die Nachricht kam, Merz hat die erforderliche Mehrheit erhalten, war die Erleichterung auch an der Börse zu spüren. Die Investoren honorierten die geglückte Kanzlerwahl mit einem kräftigen Sprung des Dax. Der Index ging bis Handelsende gegenüber seiner Eröffnung nur wenig verändert aus diesem nervenaufreibenden Tag. Wie in Berlin endete der Tag somit auch in Frankfurt auf einer versöhnlichen Note.

Grafik: Kursverlauf des DAX am Tag der Kanzlerwahl (6. Mai 2025)

Die Startprobleme der Kanzlerwahl müssen keine Bedeutung haben, zumal über die Motivation für die Querschüsse nur spekuliert werden kann. Messen wird man die Bundesregierung letztlich daran, ob es ihr gelingt, den politischen und wirtschaftlichen Stillstand in Deutschland und Europa zu beenden. Jetzt gilt es, die politische Handlungsfähigkeit zu beweisen. Am Mittwoch absolvierte Merz direkt Antrittsbesuche in Paris und Warschau – das ist Tradition in der Bundesrepublik. Merz hat vor allem Macron gegenüber klar signalisiert, dass die neue Bundesregierung den engen Schulterschluss zu Frankreich sucht. Die beiden Politiker haben denn auch gleich einen „deutsch-französischen Neustart für Europa“ verkündet. Das ist richtig und notwendig. Allerdings muss sich diese Ankündigung an ihrer Umsetzung messen lassen.

Das Programm, das sich die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen hat, trägt eine auffallend starke Ausrichtung auf die deutschen Außenbeziehungen. Ein Leitthema zieht sich durch den Koalitionsvertrag: Die Regierungsparteien sehen die Zukunft der deutschen Unternehmen in der Exportwirtschaft und einer breiten Öffnung zu den internationalen Märkten. „Unser Land braucht Exportstärke und eine von Investitionen und Kaufkraft getragene wirtschaftliche Entwicklung“, heißt es im Koalitionsvertrag, den die CDU, CSU und SPD ausgearbeitet und am Montag unterschrieben haben. Damit gibt die schwarz-rote Bundesregierung eine klare Antwort auf die Außenwirtschaftspolitik des US-Präsidenten Donald Trump.

Europa bekommt in der deutschen Politik ein besonderes Gewicht, wirtschaftlich wie auch politisch. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir treten für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ein. Für den gemeinsamen Markt ist der Ausbau grenzüberschreitender Infrastrukturen unabdingbar.“ Dabei will Deutschland eine aktive Führungsrolle in Europa anstreben. „Gerade Deutschland – als größter Volkswirtschaft in Europa – kommt eine besondere Verantwortung für unseren Kontinent zu. (…) Unser Ziel ist es, Europa gestärkt aus der Krise zu führen – als ein Europa der Stabilität und des nachhaltigen Wachstums“, steht weiter auf der To-Do-Liste der Bundesregierung. Gerade in Frankreich dürfte diese Absicht auf offene Ohren stoßen. So wurde dort aufmerksam registriert, dass Merz auf seinen Schreibtisch ein Bild gestellt hat, das Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in der Kathedrale von Reims zeigt.

Schon in seiner Sorbonne-Rede im September 2017 hatte Frankreichs Präsident Macron sechs Punkte für die europäische Souveränität genannt: gemeinsame Sicherheit, gemeinsame Migrationspolitik, gemeinsamer Blick auf den Mittelmeerraum und Afrika, ein Vorbild für nachhaltige Entwicklung, eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsmacht und ein Europa der Innovation. Von diesen Zielen ist Macron nie abgerückt, sodass die neue Bundesregierung nun die Chance hat, daran anzuknüpfen und die deutsch-französische Zusammenarbeit wieder zu intensivieren.

Ein Bekenntnis zur europäischen Einigung zählt zu den eingeübten Ritualen der deutschen Politik. Doch für die neue Bundesregierung sollen eine aktivere Europapolitik und offene Weltmärkte nicht leere Worte, sondern ein Leitbild für die Regierungsarbeit sein. Das zeigt sich daran, dass sich diese Themen wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag ziehen. Das reicht weit über Europa hinaus. „Die Wachstumschancen, die sich aus dem Freihandel ergeben, wollen wir durch eine intensivere internationale Koordination nutzen“, heißt es weiter im Koalitionsvertrag. Genannt werden ausdrücklich die G8 und die G20. Die G8 umfassen die sieben führenden Wirtschaftsnationen USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada plus die EU als achtes Mitglied. Die G20 sind ein größeres Gremium, in dem auch führende Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Indonesien, Südafrika, die Türkei oder auch Südkorea vertreten sind.

Die europäischen Nachbarländer verfolgen aufmerksam das Ausgabenprogramm von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur plus weitere Ausgaben für die Verteidigung. Hiervon versprechen sich die EU-Nachbarn auch Konjunkturimpulse für die eigene Wirtschaft. Durch die Staatsnachfrage, die das Programm schafft, könnte Deutschland eine Rolle als Wirtschaftsmotor für Europa übernehmen. Die zusätzliche Kreditaufnahme wird zwar nach bisherigen Signalen der Ratingagenturen nicht das deutsche AAA-Rating infrage stellen. Aber das über mehrere Jahre verteilte Ausgabenprogramm wird die deutsche Verschuldung in die Höhe treiben. Schon im aktuellen Haushaltsjahr 2025 liegt die Nettokreditaufnahme bei 51,3 Milliarden Euro, nachdem die Vorgängerregierung für 2024 ursprünglich mit 39 Milliarden Euro geplant hatte, aber mit dem Nachtragshaushalt dennoch bei 50,3 Milliarden Euro gelandet war. Würde das zusätzliche Ausgabenprogramm linear über die geplanten zwölf Jahre verteilt, müssten jedes Jahr Mehrausgaben von rund 41,7 Milliarden Euro finanziert werden.

Schon die vorherige Ampelkoalition hatte versucht, die Investitionen im Bundeshaushalt zu erhöhen. Im Bundeshaushalt 2025 sind 81 Milliarden Euro dafür vorgesehen, 10,2 Milliarden Euro mehr als im Haushalt zuvor. Allerdings schlagen hier allein die Aktienrente mit 12,4 Milliarden Euro und eine Kapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn von 10,4 Milliarden Euro zu Buche. Allein die Personalausgaben des Bundes liegen aktuell bei 45,2 Milliarden Euro, die Ausgaben für den Schuldendienst bei 37,9 Milliarden Euro. Zudem machen die Sozialausgaben rund 41 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes aus. Eine höhere Kreditnachfrage durch das Infrastrukturprogramm der neuen Bundesregierung wird die Zinsen am deutschen Kapitalmarkt tendenziell steigen lassen und könnte somit den Schuldendienst insgesamt verteuern.

Auch für die europäischen Kapitalmärkte sind von der schwarz-roten Bundesregierung Impulse zu erhoffen. Neben dem Ausgabenprogramm trägt dazu die Absicht bei, das Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaft zu fördern. Das dürfte Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen zugutekommen und sich somit auch an den Aktienmärkten niederschlagen. Bisher kann man nur die grobe Zielrichtung der Ausgabenprogramme abschätzen. Je mehr Details der Programme ausgearbeitet werden, desto besser wird man die Impulse für die einzelnen Unternehmen abschätzen können.

Eine aktivere Förderung der Finanzmärkte wäre wünschenswert, damit die europäischen Kapitalmärkte stärker ihre Rolle in der Finanzierung von Unternehmen und Investitionen wahrnehmen können. Doch die Kapitalmärkte kommen im Koalitionsvertrag erst auf Seite 62 vor und dies allein unter der Überschrift „Regeln für die Finanzmärkte“. Dort heißt es, dass der Spekulation „klare Grenzen“ gesetzt werden sollen. Zudem werden die Bankenregulierung, Schattenbanken, Rohstoffspekulationen, Derivatehandel, Finanzbetrug, Geldwäsche und die Notwendigkeit einer Finanztransaktionssteuer behandelt. Das klingt nicht nach Deregulierung und Entbürokratisierung. Aus unserer Sicht wäre es wünschenswert gewesen, wenn auch Themen wie die Förderung der Aktienkultur zur privaten Altersvorsorge oder die Vollendung der europäischen Kapitalmarktunion Eingang in das Regierungsprogramm gefunden hätten.

Die neue Bundesregierung ist mit dem Anspruch angetreten, den Stillstand in der deutschen Politik zu überwinden. Das ist angesichts der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Lage dringender denn je. Dazu wird Merz eine geschlossene Bundesregierung benötigen. Denn große Veränderungen verlangen Mut und Durchsetzungskraft. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Regierung trotz des holprigen Starts diese Geschlossenheit aufbringt.

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