Die Jahresendrally ist voreilig

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ODDO BHF in der Presse 01.11.2022

Die Jahresendrally ist voreilig

ODDO BHF2 Minuten

Erschienen in der Frankfurter Allgemeine Zeitung am 29. Oktober 2022

 


Herr Viebig, Ihre Kunden geben Ihnen für die Vermögensverwaltung ja eine individuelle strategische Risikoquote vor, anhand der Sie Aktien und Anleihen mischen. Diese Risikoquote ist der Maßstab, den Sie aber je nach Marktlage über- oder unterschreiten können. Wie richten Sie derzeit Ihre Kundendepots aus?

Wir haben im Februar 2022 zwei Wochen vor Kriegsausbruch in der Ukraine das Risiko in den Kunden-Portfolios verringert und Aktien untergewichtet. Wir haben mit diesem Krieg nicht gerechnet, aber die zunehmende Kriegsrhetorik hat uns vorsichtiger werden lassen. Erst zu Beginn des dritten Quartals haben wir unsere Positionen in Aktien wieder auf eine neutrale Gewichtung erhöht. An der neutralen Positionierung werden wir voraussichtlich in diesem Jahr auch nichts mehr ändern.

 

Das heißt: Wir haben nach Ihrer Erwartung die schlimmsten Kursverluste an den Märkten hinter uns, aber die Kurstiefs vermutlich noch vor uns?

Das halte ich für wahrscheinlich aus folgendem Grund: Unsere Wirtschaft erfährt gerade durch das knappe Gas und die galoppierenden Energiepreise einen Angebotsschock. Im Vergleich zur Corona-Krise, als die Nachfrage schockhaft ausblieb, dauert es in der Regel länger, einen Angebotsschock zu verkraften. Vor allem kann der Staat relativ wenig dagegen tun.

 

Der Doppelwumms von Bundeskanzler Scholz und die fortgesetzten Staatsanleihekäufe der EZB sprechen eine andere Sprache.

Geld drucken durch die Notenbanken und Stützungspakete der Regierungen sind gute Antworten gegen Nachfrageschocks. In Reaktion auf einen Angebotsschock dagegen sollte sich der Staat zurückhalten und die Nachfrage nicht zu sehr stimulieren. Denn andernfalls treibt er die Inflation. Die Gaspreisbremse etwa sollte jetzt nicht zu groß ausfallen. Und die Zentralbanken müssen jetzt die Zinsen erhöhen, damit sich die Inflationserwartungen nicht verfestigen. Es war ein Fehler, dass die Zentralbanken damit nicht früher begonnen haben. Schon die amerikanische Fed war im März mit ihrer ersten Zinserhöhung spät dran, die EZB im Juli erst recht.

 

Ist jetzt das Kind in den Brunnen gefallen?

Insofern, als sich auch durch staatliche Stimulierung und das Zaudern der Notenbanken leider weiterer Inflationsdruck aufgebaut hat. Nehmen Sie die Nahrungsmittel auf Ihrem Frühstückstisch: Sie bezahlen gerade 78 Prozent mehr für Butter als vor einem Jahr, 35 Prozent mehr für Milch, 32 Prozent für Kaffee. Die Inflation hat sich also von der Energie auf Nahrungsmittel verbreitert und dürfte sich weiter ausdehnen, vor allem dann, wenn die Löhne nun – aus Sicht der Arbeitnehmer berechtigterweise – kräftig steigen. Dann braucht es umso höhere Zinserhöhungen, um die Inflation wieder einzudämmen.

 

Ähnlich wie Ende der 1970er-Jahre in den USA, als Notenbankpräsident Paul Volcker mit Zinsen um 20 Prozent einen weiteren Schock auslöste?

Daran fühlt man sich zumindest erinnert. Nach der Taylor-Regel, die vereinfacht gesagt aus der Differenz zwischen dem Inflationsziel und der tatsächlichen Inflation sowie der Produktionslücke ein angemessenes Zinsniveau ableitet, müsste der EZBLeitzins derzeit nicht bei 2,0, sondern bei 8 Prozent liegen.

 

(...)

 

 

 

 

 

 

Wichtige Hinweise

Dieses Dokument wurde von der ODDO BHF SE nur zu Informationszwecken erstellt. Darin enthaltene Äußerungen basieren auf den Markteinschätzungen und Meinungen der Autoren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Diese können sich abhängig von den jeweiligen Marktbedingungen ändern. Weder dieses Dokument noch eine in Verbindung damit gemachte Aussage stellt ein Angebot, eine Aufforderung oder eine Empfehlung zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten dar. Etwaig dargestellte Einzelwerte dienen nur der Illustration. Einzelne Aussagen sind weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, eine individuelle anleger- und anlagegerechte Beratung durch hierfür qualifizierte Personen zu ersetzen. Bevor in eine Anlageklasse investiert wird, wird dringend empfohlen, sich eingehend über die Risiken zu erkundigen, denen diese Anlageklassen ausgesetzt sind, insbesondere über das Risiko von Kapitalverlusten.

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