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Blick auf die Kapitalmärkte
22.09.2025
6 Minutes
    Laurent Denize
    Laurent Denize
    Chief Investment Officer von ODDO BHF Asset Management & Global Co-CIO von ODDO BHF

Der erratische Regierungsstil von Trump beschäftigte die Märkte auch im Sommer. Dennoch konnten die meisten Anleger einen entspannten Urlaub genießen. Die Aktienmärkte scheinen sich mit dem Stil der Trump-Ära arrangiert zu haben. Ist das Leichtsinn? Oder haben Anleger gelernt,  vermeintliche Störgeräusche auszublenden und sich auf die für ihre Anlagen relevanten Signale zu konzentrieren? Schließlich macht der Markt keine Pause. Wer langfristige Renditeziele erreichen will, muss auch in risikoreichen Zeiten Investitionschancen nutzen. Wie beim Bergsteigen gilt: Wer den Gipfel erreichen will, darf nicht nach unten schauen, sondern muss Schritt für Schritt weiter nach oben steigen. Doch angesichts hoher Bewertungen sollte man sich für den weiteren Aufstieg absichern.

Am US-Markt kommt man nicht vorbei

Seit dem durch die Zollankündigungen ausgelösten Markteinbruch im April haben sich die Aktienmärkte kräftig erholt. Besonders US-Technologieaktien verzeichneten eine Rally. In der Eurozone hingegen flaute der Aufschwung am Aktienmarkt nach den Kursgewinnen im ersten Quartal etwas ab. Im Fokus der Anleger stehen erneut Momentum-Aktien und in zweiter Linie die in den jeweiligen Indizes stark vertretenen Wachstumsaktien (USA) und Value-Titel (Europa). Bislang bleibt die große Rotation von den USA nach Europa jedoch eher Wunschdenken mancher Kommentatoren. Zwar deutete sich zu Jahresbeginn eine zaghafte Umschichtung an, doch diese befindet sich – wenn überhaupt – noch in einem sehr frühen Stadium. Ein Blick auf die Zahlen zeigt die harte Realität: Europäische Aktienfonds verzeichneten in den letzten fünf Jahren keine Nettozuflüsse. Wenn sie also für Anleger genauso attraktiv werden wollen wie die USA, haben die europäischen Kapitalmärkte noch viel aufzuholen. Neben einer effizienten Umsetzung der angekündigten deutschen Infrastrukturprogramme bräuchte es auch eine stärkere Integration der Kapitalmärkte. Bis dahin bleiben US-Aktien für Anleger unserer Meinung nach unverzichtbar. Schließlich kommt Nvidia auf eine Marktkapitalisierung von 4.500 Mrd. USD – so viel wie die Aktienleitindizes von Deutschland und Frankreich zusammen.

USA: Zunehmend weniger Spielraum für den Bullenmarkt

Das bedeutet jedoch nicht, dass Anlagen in den USA im aktuellen Marktumfeld ohne Risiko sind. Höhere US-Zölle und ein sich abschwächender Arbeitsmarkt dürften mittelfristig das Wirtschafts-wachstum dämpfen. So liegt der durchschnittliche effektive Zollsatz verschiedenen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 13 % und 17 % und die Zahl der Beschäftigten außerhalb des Agrarsektors stieg im August 2025 um nur 22.000, weit weniger als die nach oben korrigierten 79.000 im Juli. Zudem könnte der wachsende politische Druck auf die US-Notenbank deren Glaubwürdigkeit beschädigen und Inflationsängste schüren. Trotz der unbestreitbar negativen Folgen der Zölle wäre es voreilig, die USA abzuschreiben. Die US-Wirtschaft ist stark binnen- und dienstleistungsgetrieben. Daher werden nicht alle Unternehmen unter den Handelsspannungen leiden und die Unternehmensgewinne dürften 2025 und 2026 weiterhin zweistellig wachsen. Hinzu kommen Entlastungen durch die Regierung unter Präsident Trump, insbesondere die Steuersenkungen im Rahmen der „Big Beautiful Bill”, die die Belastungen durch Zölle weitgehend ausgleichen dürften. Die Deregulierung des Finanzsektors könnte Kapital für Kredite freisetzen und damit expansionswillige Unternehmen unterstützen. Nicht zuletzt dürfte die Zentralbank mit Blick auf schwächere Arbeitsmarktdaten die Zinsen auch ohne politischen Druck weiter senken. All diese Faktoren dürften die Aktienmärkte in den kommenden Monaten stützen und die Debatte über Stagflation, Rezession, weiche oder ausbleibende Landung in den Hintergrund rücken lassen. Die Bewertungen gemessen am KGV haben inzwischen ein Niveau erreicht, das in keinem Verhältnis zum Risiko steht. Eine leicht untergewichtete Position erscheint daher ratsam. Bei den großen KI-Aktien besteht zwar aufgrund ihrer exzessiven Bewertungen und auf Rekordniveau liegenden Generierung von freiem Cashflow ein hohes Risiko von Rücksetzern. Wir sind dennoch der Meinung, dass dieses Thema langfristig relevant bleiben dürfte. Unser Rat wäre daher, hier den Fokus weniger auf „Infrastruktur“ oder „Ermöglicher“ zu legen, sondern auf „Anwender“. Dazu zählen beispielsweise Anbieter digitaler Werbung, Gesundheitsunternehmen, die KI einsetzen, Plattformen für digitale Vermögenswerte sowie Unternehmen, die von KI und agentenbasierter KI profitieren können.

Europa: Kurzfristiges Momentum schwächt sich ab

Kann sich Europa von den USA abkoppeln und stärker wachsen als in den letzten Jahren? Zuletzt profitierten insbesondere deutsche Aktien von den erwarteten fiskalischen Impulsen durch die für die nächsten zehn Jahre geplanten Investitionspakete für Verteidigung und Infrastruktur mit einem Volumen von 1,2 Billionen Euro. Werden diese Pakete im Herbst auf den Weg gebracht, stehen die Chancen gut, dass Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zurückkehrt – wenn auch zunächst nur moderat. Nach über zwei Jahren Rezession wäre dies überfällig. Die fiskalischen Impulse aus Deutschland könnten auch anderen Ländern einen Schub geben, da viele Zulieferer aus der Bau-,
Material-, Chemie- und Verteidigungsindustrie in Europa ansässig sind. Für einen nachhaltigen Aufschwung jedoch bedarf es weiterer Verbesserungen des Geschäftsumfelds. Hier bleibt für die europäischen Regierungen noch einiges zu tun. In Deutschland sind bislang nur Entlastungen für Unternehmen bei den Stromkosten für 2026 sowie eine – gleichwohl nicht vor 2028 greifende – Senkung der Körperschaftssteuer vorgesehen. Wie in Europa insgesamt hinken daher auch in Deutschland die Unternehmensgewinne den KGV-Bewertungen hinterher.

Langfristig birgt die Initiative der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Spar- und Investitionsunion (SIU) das größte Potenzial, um die Sparvermögen der Europäer in Höhe von 33 Billionen Euro in produktive Investitionen umzulenken und das schwache Wachstum in Europa anzuschieben. Doch angesichts der politischen Krise in Frankreich, wo die Regierung über keine parlamentarische Mehrheit verfügt, sowie der Uneinigkeit innerhalb der EU in bestimmten Fragen ist hier kurzfristig nicht mit wesentlichen Fortschritten zu rechnen. Vielversprechender sind die gemeinsamen Anstrengungen im Verteidigungsbereich: Innerhalb von zehn Jahren sollen 2 Billionen Euro investiert werden, um die Verteidigungsausgaben von 2% auf 3% des BIP zu steigern. Unternehmen bereiten sich bereits auf steigende Auftragseingänge vor und erweitern ihre Kapazitäten. Da dieser Bereich in den Portfolios vieler institutioneller Anleger und Fonds noch nicht vertreten ist, könnten hier anhaltende Zuflüsse folgen. Auch der Bankensektor der Eurozone bietet Aufwärtspotenzial. Dieser erholt sich seit einiger Zeit und überzeugt mit soliden Fundamentaldaten: einer Eigenkapital-rendite von 13 %, einem Anteil notleidender Kredite von unter 2 % und einer Kernkapitalquote von 17 %. Wegen der von den USA verhängten Zölle, die das Wirtschaftswachstum belasten, bevorzugen wir derzeit jedoch Small Caps gegenüber Large und Mid Caps. Letztere hängen stärker vom Export ab und reagieren somit empfindlicher auf außenwirtschaftliche Faktoren.

China – das Land der Zukunft?

Außerhalb Europas und der USA zählen China und Indien zu den Märkten mit dem weltweit größten Wachstumspotenzial. Zwar bremst Chinas Immobilienkrise die Erholung weiterhin, doch die Industriepolitik des Landes schafft Chancen in Zukunftsbranchen, zuletzt etwa durch eine Kampagne, die exzessiven und damit langfristig schädlichen Wettbewerb eindämmen und Preiskämpfe verhindern soll. Auch im Technologiesektor bietet China Potenzial: Die Entwicklung von Chatbots wie Deep-Seek und der verstärkte Einsatz von KI in humanoiden Robotern und selbstfahrenden Autos unterstreichen das. In diesen Bereichen ist China bereits führend. Indien hingegen leidet unter den Zöllen, die das Wirtschaftswachstum dämpfen. Hinzu kommen ein schwächeres Kreditwachstum und sinkende Investitionen, was den Gewinn je Aktie indischer Unternehmen belastet.

Renten: Duration verlängern mit Präferenz für die USA, Unternehmensanleihen neutral

Die langfristigen Renditen sind zuletzt gestiegen. Britische, US- und französische 30-jährige Anleihen rentieren nun bei 5,7 %, 5,0 % bzw. 4,5 %. Dementsprechend haben auch die Laufzeitprämien zugelegt. In den europäischen Kernländern (vor allem Frankreich) bleibt abzuwarten, wie der Markt die Flut neuer Bundesanleihen aufnimmt. Angesichts des gedämpften Wirtschaftswachstums in den USA und Europa halten wir eine leicht längere Duration für sinnvoll. Unternehmensanleihen bleiben trotz höherer Risiken attraktiv. Trotz vergleichsweise enger Spreads bieten die Renditen insgesamt immer noch gutes Carry-Potenzial und liegen oftmals über Inflationsniveau. Aus Risiko-Rendite-Sicht bevorzugen wir weiterhin Investment-Grade- und Hochzinsanleihen mit kurzer Duration, da das Drawdown-Potenzial gering ist.

Diversifikation: Positiv in Bezug auf Euro, Gold und Öl

Angesichts eines Kurses von 1,17 US-Dollar pro Euro bleiben wir bei unserer Einschätzung, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar aufwerten wird. Gold hat sich in Zeiten hoher Unsicherheit erneut als verlässliches Mittel zur Diversifikation erwiesen. Vieles spricht dafür, dass das Edelmetall im Falle einer Abwertung des Dollars in den Portfolios privater Anleger und den Reserven der Notenbanken weiter an Bedeutung gewinnen könnte. Ob Kryptowerte eines Tages als Ersatzwährung dienen können, bleibt abzuwarten. In jedem Fall werden derzeit die regulatorischen und technischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen.

Fazit: Chancen nutzen, aber Schritte überlegt setzen und Risiken abschätzen

Als Anleger mit ausreichender Risikobereitschaft befinden wir uns auf halber Höhe eines anspruchsvollen Bergaufstiegs: Die Aussicht und die Chancen locken. Doch der Weg ist schmal, der Untergrund tückisch. Jetzt ist weder der Moment, um umzukehren, noch der Zeitpunkt, um ohne Seil vorwärtszupreschen. Unserer Meinung nach bieten Aktien weiterhin Aufwärtspotenzial, aber Selektivität ist entscheidend. Es gilt, Risiken abzuwägen und das Portfolio klug über Regionen und Sektoren zu streuen, um Renditen zu erzielen und gleichzeitig erhöhte Bewertungen zu meiden. Renten können Stabilität bieten. Eine etwas längere Duration bietet Potenzial bei nachlassendem Wachstum, ebenso wie eine vorsichtige Positionierung in Kreditrisiken. Alternative Anlagen, wie beispielsweise Rohstoffe, bleiben bei entsprechendem Risikoprofil wertvolle Instrumente zur Diversifikation. In diesem Umfeld geht es bei der Portfoliozusammenstellung weniger darum, dem Momentum blind zu folgen, sondern risikobereinigte Renditen zu optimieren und jeden Schritt nach oben auf vermeintlich sicherem Grund zu setzen. Der Gipfel ist weiterhin in Reichweite, doch die Wolken verdichten sich.

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    Laurent Denize
    Chief Investment Officer von ODDO BHF Asset Management & Global Co-CIO von ODDO BHF
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