Angriffe im Roten Meer: eine neue Bedrohung für die Lieferketten. Die Souveränität Europas steht auf dem Prüfstand.

Nachrichten

Blick auf die Finanzmärkte 08.03.2024

Angriffe im Roten Meer: eine neue Bedrohung für die Lieferketten. Die Souveränität Europas steht auf dem Prüfstand.

ODDO BHF6 Minuten

 

Antoine Chacun, Managing director – ODDO BHF Metals

 

 

Die Unterbrechung eines Großteils des Schiffsverkehrs entlang der Route vom Roten Meer zum Suezkanal infolge der Angriffe der Huthi-Rebellen aus dem Jemen auf Handelsschiffe stellt Europa vor eine große Herausforderung.

 

Die Ereignisse im Roten Meer aus der Sicht unseres Geschäftsbereichs ODDO BHF Metals.

Durch ihre Geschäftsaktivitäten im Bereich der Nichteisenmetalle (Aluminium, Kupfer, Zink usw.) – ODDO BHF Metals – sichert die Gruppe seit 2006 die Versorgung eines Teils der europäischen Metallindustrie

Sowohl bei Aluminium als auch bei Energie haben sich Russlands Lieferungen nach Europa auf ein Minimum reduziert (von 30 % auf weniger als 10 %), während die aus Asien (u. a. Persischer Golf, Indien, Indonesien, Malaysia und Australien) importierten Mengen um mehr als 30 % stiegen.

 

Was ist geschehen?

Am Freitag, dem 15. Dezember 2023, kündigten zwei der größten Reedereien – MAERSK und CMA CGM – an, dass sie den Transit ihrer Containerschiffe durch das Rote Meer und den Suezkanal einstellen werden. Sie reagierten auf eine Reihe von Angriffen der Huthi-Rebellen aus dem Jemen auf Schiffe, die die Straße von Bab el-Mandeb passierten. Ihnen folgten die führenden Reedereien HAPAG LOYD und MSC.

Schiffe verharren am Eingang der Meerenge und hoffen auf eine Besserung der Lage, andere nehmen Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung, wieder andere entladen einen Teil ihrer Fracht, um sie auf alternative Routen um den afrikanischen Kontinent herum zu leiten.

Am Samstag, dem 16. Dezember 2023, erhielten wir eine Benachrichtigung von einem wichtigen Produzenten aus dem Nahen Osten, der bis auf Weiteres alle seine Lieferungen nach Europa einstellte. 

In aller Eile überschlugen wir, dass 40 % unserer Aluminiumlieferungen über den Suezkanal abgewickelt wurden. (Indien, Indonesien, Malaysia, Persischer Golf, Australien, Neuseeland).

Die folgende Woche wurde genutzt, um mit den globalen Produzenten über Alternativen zu diskutieren. 

 

Die indischen Produzenten beschlossen, den Güterstrom unverzüglich über das Kap der guten Hoffnung umzuleiten. Der Produzent aus Saudi-Arabien sprach die Möglichkeit an, Aluminiumbarren auf dem Landweg die Küste des Persischen Golfs entlang bis nach Jeddah am Roten Meer im Norden des Jemen zu transportieren.

Die Lieferzeiten wurden immer länger: Abgesehen von den 10 zusätzlichen Tagen, die für die Umrundung Afrikas benötigt wurden, führten Umladungen und eine mangelnde Transportplanung dazu, dass die Verzögerungen einen Monat oder mehr betrugen. In der Folge waren die Wiederverladekapazitäten für die nächsten Lieferungen nicht mehr ausreichend. Die Schiffe wurden auf dem Rückweg um den afrikanischen Kontinent herum eingesetzt. Massengutfrachter wurden bereitgestellt, um die Containerschiffe zu ersetzen.

Die Kosten für Seefracht haben sich verdoppelt, teils sogar verdreifacht. Die sich im Aufschlag widerspiegelnden, relativen Kosten für Aluminium in Europa schnellten in die Höhe. Die Lieferzeiten stabilisierten sich, pendelten sich aber bei 15 Tagen und für Ozeanien bei einem Monat ein.

Dennoch wird es uns durch Mobilisierung unserer Lagerbestände gelingen, die Kontinuität der Lieferungen an unsere Kunden zu gewährleisten.

Dies ist die Aufgabe von ODDO BHF Metals, um die Lieferketten auch angesichts schwer vorhersehbarer geopolitischer Ereignisse zu sichern.

 

Eine wichtige Versorgungsroute für Europas ist abgeschnitten.

Die Ereignisse im Roten Meer finden fast zwei Jahre nach dem Ausbruch des offenen Krieges infolge der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 statt. Die zu den bereits bestehenden Sanktionen gegen den Iran hinzukommenden Sanktionen gegen Russland können mit einer Art eisernem Vorhang gleichgesetzt werden, der den eurasischen Kontinent von einem Territorium abschneiden würde, das sich vom Arktischen Ozean bis zum Indischen Ozean erstreckt.

Die Alternativen zur Route vom Roten Meer zum Suezkanal für die Belieferung von Europa von Asien aus sind begrenzt. Von China aus wäre der Nördliche Seeweg der kürzeste (8.000 Seemeilen). Er ist jedoch nicht nutzbar und steht auch weiterhin unter russischer Kontrolle. Sogar der Schienenverkehr von China nach Deutschland durch Kasachstan und Russland hat sich halbiert.

Es bleibt also nur die Route um das Kap der Guten Hoffnung herum, wodurch sich alle Seewege von Asien nach Europa um 3.500 bis 4000 Seemeilen verlängern.

Die Route vom Roten Meer zum Suezkanal stellte eine Verbindung zwischen Europa und Exportgütern aus ganz Asien her: Öl und Gas aus dem Persischen Golf, Textilien und Arzneimittel aus Indien, Metalle und Rohstoffe aus Indonesien und Ozeanien ... und nicht zuletzt Fertigwaren aus China.

  • Der Wert der Waren, die über das Rote Meer transportiert wurden, überstieg jährlich eine Billion Dollar. In Bezug auf diese Zahl ist zu bedenken, dass Europa jährlich zwischen 500 und 600 Milliarden an chinesischen Fertigwaren importiert und ein Handelsdefizit von rund 300 Milliarden aufweist.
  • Über diese Route konnten 12 % des weltweiten Seehandels und etwa 30 % des Containerverkehrs abgewickelt werden. Außerdem entfielen 10 % der weltweiten Öl- und 8 % der weltweiten Gasströme auf das Land.
  • Der Suezkanal brachte Ägypten jedes Jahr 10 bis 12 Milliarden Dollar an Abgaben ein.

 

 

Geopolitische Herausforderungen des Suezkanals

Die Herausforderungen sind komplex mit oft widersprüchlichen Interessen, die über das hinausgehen, was fälschlicherweise vereinfacht als Konfrontation zwischen dem „Westen“ und einem angeblichen „Globalen Süden“ dargestellt wird.

Die Huthi-Rebellen rechtfertigen ihre Angriffe auf Handelsschiffe mit der Unterstützung der palästinensischen Sache im Zusammenhang mit der israelischen Invasion des Gazastreifens – eine Invasion, die wiederum auf die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober folgte. Die Verschlechterung der Lage in der Gaza-Region gibt wenig Anlass, auf eine schnelle Lösung in dieser Hinsicht zu hoffen. Das Narrativ der Huthi-Rebellen ist eindeutig „antiwestlich“, und sie haben im Übrigen klargestellt, dass russische und chinesische Schiffe keine Angriffe befürchten müssen. Daher scheinen Containerschiffe aus China die letzten zu sein, die die Passage regelmäßig nutzen.

Der Iran ist der wichtigste Unterstützer der Huthi-Rebellen, insbesondere im Bereich der militärischen Ausrüstung. Aufgrund der Sanktionen verkauft der Iran 90 % seines Öls an China.

China spielt daher eine zentrale Rolle bei der Lösung dieses Konflikts. Die chinesische Diplomatie war instrumental für den Waffenstillstand, der nach acht Jahren Krieg zwischen den Huthi-Rebellen und Saudi-Arabien im Jahr 2022 ausgehandelt wurde. 

Von den USA gebeten zu werden, Druck auf den Iran auszuüben, konnte angesichts der Rivalität zwischen den beiden Großmächten an sich schon als symbolischer Sieg gedeutet werden. Andererseits würde eine zu starke Verschlechterung der Lage aber auch China Kosten verursachen, da es 10 % seiner Exporte über diese Route abwickelt.

Russland könnte diese Konflikte als Ablenkungsmanöver des Westens vom Krieg in der Ukraine betrachten. Allerdings exportiert es mittlerweile 90 % seines Kohlenwasserstoffs nach Indien und China. Russland wird ebenfalls durch die Schließung dieser Route benachteiligt, die Lieferungen vom Schwarzen Meer aus nach Indien ermöglicht.

Saudi-Arabien hat deutlich gemacht, dass es den Waffenstillstand nicht in Frage stellen und den Krieg gegen die Huthi-Rebellen nicht wieder aufnehmen wird. Seine zum Roten Meer und zum Persischen Golf hin offenen Küsten ermöglichen es Saudi-Arabien, sich der Blockade zu entziehen.

Die USA haben ihre Luft- und Seestreitkräfte rund um die Straße von Bab El Mandeb stationiert und sind – neben Großbritannien – die einzigen, die Gegenangriffe auf die Landpositionen der Huthi-Rebellen ausführen. Wie Joe Biden sagte, sind diese Gegenschläge für die größte Macht der Welt, die den freien Schiffsverkehr durchsetzen muss, unerlässlich. Wir sind uns jedoch bewusst, dass dies zumindest kurzfristig keine Lösung bringen wird. 

Tatsächlich sind die unmittelbaren wirtschaftlichen und strategischen Herausforderungen aufgrund der Schließung des Roten Meers für die USA gering, und die Dauerhaftigkeit der US-Intervention könnte je nach Ausgang der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 in Frage gestellt werden.

Für Europa hingegen ist diese Route strategisch und wirtschaftlich von entscheidender Bedeutung. Für die Mittelmeerländer ist sie sogar noch wichtiger (so werden z. B. 42 % der Exporte Italiens über den Kanal abgewickelt). Obwohl Europa die USA unterstützt, hat es sich stets geweigert, seine Streitkräfte unter ein einheitliches Kommando zu stellen und Gegenschläge zu Lande zu führen. Es organisiert allerdings Schiffskonvois. Angesichts dessen, dass sich die europäische Diplomatie ihre Autonomie bewahren wollte, bleibt sie wenig sichtbar.

 

Unmittelbare und längerfristige Folgen:

Die unmittelbaren Folgen wurden vor dem Hintergrund einer deutlichen Verlangsamung der Industrieproduktion auf europäischer Ebene vergleichsweise abgemildert. Ein derartiges Ereignis im Jahr 2021 oder 2022, als die Lieferketten bereits unter Spannung standen, hätte eine ganze Kaskade von Fabrikstillständen ausgelöst.

Dazu muss allerdings angemerkt werden, dass Tesla einen Produktionsstopp von drei Wochen und Volvo einen Stopp von einer Woche angekündigt hat. Analysten schätzen, dass die Verteuerung der Logistik zu einem Anstieg der europäischen Inflation in einer Größenordnung von 0,5 % beitragen könnte.

Längerfristig führt der Wegfall dieser Route zu einer Anfälligkeit Europas und zu einer Entfernung des wirtschaftlichen Zentrums der Welt von den beiden Großmächten China und bald auch Indien. Sie bedeutet für Europa zugleich einen langfristigen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. 

Und natürlich sollte diese Anfälligkeit Europa dazu veranlassen, eine weltweite Bewegung des industriellen „Re-Shoring“ voranzutreiben, bei der es darum geht, die Lieferketten zu verkürzen und lokale Zulieferer zu begünstigen. Das Bestreben, das Handelsdefizit gegenüber China zu verringern, wie in den USA bereits ansatzweise geschehen, wird einer der Schwerpunkte sein.

Fazit:

Innerhalb von zwei Jahren hat sich die internationale Positionierung Europas unter dem Druck der Ereignisse grundlegend verändert.

Die Unterbrechung der Gaslieferungen von Nord Stream hat sich nicht als die angekündigte Katastrophe erwiesen. Allerdings haben unsere elektrointensiven Industrien immer noch Schwierigkeiten, sich von den gestiegenen Energiekosten zu erholen. Eine neue industrielle Herausforderung wird darin bestehen, unsere neuen intermittierenden Stromquellen (56 Gigawatt an installierter Leistung allein im Jahr 2023) zu nutzen.

Europa ist sich außerdem bewusst geworden, dass es in der Lage sein muss, seine Verteidigung weitgehend selbstständig zu gewährleisten. Und natürlich könnte das Ergebnis der US-Wahlen uns dazu zwingen, diese Entwicklung zu beschleunigen.

Vor dem Hintergrund einer größeren Unabhängigkeit im Energiebereich und einer gesteigerten Verteidigungsfähigkeit muss Europa auch eine stärkere und autonomere Diplomatie aufbauen – die Ereignisse im Roten Meer dienen uns als Mahnung. Es muss starke Beziehungen zu Ländern mit gemeinsamen Interessen wie z. B. Indien aufbauen. Und es muss sich daran erinnern, dass Isolationismus keine Option ist.   




 

 

 

Wichtige Hinweise

Die genannten Unternehmen sind Beispiele und keine Anlageempfehlungen. Dieses Dokument wurde von der ODDO BHF SE nur zu Informationszwecken erstellt. Darin enthaltene Äußerungen basieren auf den Markteinschätzungen und Meinungen der Autoren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Diese können sich abhängig von den jeweiligen Marktbedingungen ändern. Weder dieses Dokument noch eine in Verbindung damit gemachte Aussage stellt ein Angebot, eine Aufforderung oder eine Empfehlung zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten dar. Etwaig dargestellte Einzelwerte dienen nur der Illustration. Einzelne Aussagen sind weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, eine individuelle anleger- und anlagegerechte Beratung durch hierfür qualifizierte Personen zu ersetzen. Bevor in eine Anlageklasse investiert wird, wird dringend empfohlen, sich eingehend über die Risiken zu erkundigen, denen diese Anlageklassen ausgesetzt sind, insbesondere über das Risiko von Kapitalverlusten.

 

 

ODDO BHF

ODDO BHF SE · Gallusanlage 8 · 60323 Frankfurt am Main · Postanschrift: 60302 Frankfurt am Main ·

Vorstand: Philippe Oddo (Vorstandsvorsitzender) · Grégoire Charbit · Joachim Häger ·

Christophe Tadié · Benoit Claveranne . Monika Vicandi . Vorsitzender des Aufsichtsrats: Werner Taiber · Sitz: Frankfurt am Main.

Registergericht und Handelsregister Nummer: Amtsgericht Frankfurt am Main HRB 73636 USt-IdNr. DE 814 165 346 · BIC/SWIFT

BHFBDEFF500 - www.oddo-bhf.com

 

 

Partager

Nachrichten

Die Berichtssaison in den USA übertrifft die Erwartungen Blick auf die Finanzmärkte 10.05.2024

Die Berichtssaison in den USA übertrifft die Erwartungen

Die Berichtssaison in den USA verläuft überraschend positiv. Das haben auch die Marktteilnehmer honoriert und sich entsprechend an den Märkten positioniert. Doch nach den jüngsten Kurssteigerungen rücken auch die Bewertungen der börsennotierten Unternehmen stärker in den Fokus.

Wir werden wohl länger als gedacht mit höheren Zinsen leben müssen Blick auf die Finanzmärkte 03.05.2024

Wir werden wohl länger als gedacht mit höheren Zinsen leben müssen

Je näher wir der erwarteten ersten Zinssenkung der Fed kommen, desto mehr scheint sie in die Ferne zu rücken. Es ist ungewisser als zuvor, dass die amerikanische Notenbank im Sommer schon ihren ersten, lange erwarteten Zinsschritt nach unten vornehmen wird.

Die konjunkturelle Aufhellung in Deutschland reicht nicht aus Blick auf die Finanzmärkte 26.04.2024

Die konjunkturelle Aufhellung in Deutschland reicht nicht aus

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat am Donnerstag die Konjunkturprognose für die deutsche Wirtschaft angehoben. Er rechnet nun in diesem Jahr 2024 mit einem Wachstum von 0,3 Prozent anstatt zuvor mit 0,2 Prozent.